Herrschaft, Verwaltung und Zentralisierung. Bürokratie in der Habsburgermonarchie im 18. Jahrhundert

Herrschaft, Verwaltung und Zentralisierung. Bürokratie in der Habsburgermonarchie im 18. Jahrhundert

Veranstalter
Institut für Geschichtswissenschaften und Europäische Ethnologie der Universität Innsbruck; Institut für Österreichische Geschichtsforschung der Universität Wien; Forschungsschwerpunkt „Österreich in seinem Umfeld“ der Universität Wien; Österreichische Gesellschaft zur Erforschung des 18. Jahrhunderts (Julian Lahner, Reinhard Nießner, Stefan Ehrenpreis, Josef Löffler und Thomas Wallnig)
Veranstaltungsort
Innsbruck
PLZ
6020
Ort
Innsbruck
Land
Austria
Findet statt
In Präsenz
Vom - Bis
14.02.2024 - 16.02.2024
Von
Julian Lahner

Tagung über die Verwaltungsgeschichte der Habsburgermonarchie im 18. Jahrhundert an der Universität Innsbruck. Es ist auch eine Online-Teilnahme möglich. Dafür wird um Anmeldung bei Sabine.Robic@uibk.ac.at erbeten

Herrschaft, Verwaltung und Zentralisierung. Bürokratie in der Habsburgermonarchie im 18. Jahrhundert

Mit Blick auf die Forschungslandschaft der letzten Jahre entsteht zusehends der Eindruck, dass der Boom um die frühneuzeitliche Verwaltungsgeschichte abklingt. Etablierte Forschungskonzepte wie „Kulturgeschichte der Verwaltung“ (Peter Becker), „Verwaltungsgeschichte als Kommunikationsgeschichte“ (Stefan Haas und Mark Hengerer), „Herrschaft als dynamischer und kommunikativer Prozess“ (Markus Meumann und Ralf Pröve) oder „Aushandeln von Herrschaft“ (Stefan Brakensiek) werden immer weniger weiterverfolgt. Dieser generelle Befund gilt für das Heilige Römische Reich ebenso wie für die Habsburgermonarchie.

Einem gängigen Narrativ der österreichischen Verwaltungsgeschichte zufolge legte der Österreichische Erbfolgekrieg (1740–1748) in der Habsburgermonarchie einen dringenden Reformbedarf offen. Diese signifikanten Strukturdefizite waren aber schon in den Jahrzehnten zuvor bekannt, konnten allerdings keiner gesamtstaatlichen Lösung zugeführt werden. Um diese existentielle Krise von Dynastie und Monarchie zu überwinden, bedurften ineffiziente bürokratische Strukturen von Staat, Ständen, Grundherrschaften und Kirche einer grundlegenden Erneuerung. Dieser differenzierte Staatsbildungsprozess der Habsburgermonarchie basierte auf Bürokratisierung und Zentralisierung. Herrschaft wurde im gesamten 18. Jahrhundert durch Bürokratisierung gleichermaßen in den Zentren und in der Peripherie verdichtet. Die österreichische Verwaltungsgeschichte fokussiert dabei im Kontext der Zentralisierung vor allem auf Zentral- und Landesbehörden und sieht die Mitte des 18. Jahrhunderts als entscheidende Zäsur für diese Entwicklungsrichtung an.

Diese interdisziplinäre Tagung möchte diese bisherige Engführung der österreichischen Verwaltungsgeschichte aufbrechen, indem dem tradierten Bild von Staatsbildung und Zentralisierung, wie es sich aus der Perspektive der Zentralbehörden oder in der jüngeren Forschung mit Fokus auf die Landstände darstellt, eine regionale Perspektive von Bürokratisierung gegenüber gestellt wird. Dazu gehen wir in Anknüpfung und Erweiterung der erwähnten kommunikationstheoretischen Konzepte von der These aus, dass Zentralisierung im Sinne einer Vernetzung diverser und komplexer Verwaltungsstrukturen der Lokal-, Regional- und Hofstaatsebene verstanden werden muss. Daher sollte sie auch transregional gedacht und analysiert werden. Damit ist eine dezidiert regionalgeschichtlich akzentuierte Verwaltungsgeschichte angesprochen, die die Annahme nahelegt, dass kommunale, lokale und regionale Behörden und Beamte von Staat, Ständen, Grundherrschaften und Kirche weitschichtig miteinander vernetzt waren. Diese Interaktion war die Voraussetzung der maria-theresianischen und josephinischen Reformen, ohne die königliche bzw. landesfürstliche Herrschaft weder denk- noch realisierbar gewesen wäre. Die bereits unter Karl VI. in Gang gesetzten administrativen Initiativen sind dabei nicht nur als Vorläufer zu charakterisieren, sondern sollten in ihrer genetischen Zusammengehörigkeit mit den Reformen der zweiten Hälfte des 18. Jahrhundert untersucht werden.

Der Fokus einer solch neu akzentuierten Verwaltungsgeschichte konzentriert sich auf die Untersuchung der bürokratischen Vernetzung(en) im „aufgeklärten Staat“. Die Konferenz möchte am Beispiel der Habsburgermonarchie im 18. Jahrhundert Strategien und Praktiken einer solchen auf Vernetzung angelegten Zentralisierung erforschen. Dabei sollen nachfolgende Fragen beantwortet werden: Wie vernetzten sich bzw. wurden Behörden und Beamte von Staat, Ständen, Grundherrschaften und Kirche vernetzt? Wer kommunizierte mit wem, unter welchen (Vor-)Bedingungen und mit welchen Mitteln? Existierten verschiedene Ausprägungen von Zentralität? Welche zeitlichen Abweichungen und Kongruenzen der Zentralisierung sind zwischen den Ebenen feststellbar? Mithilfe dieser Grundfragen soll die Funktionsweise und Wechselbeziehung von Herrschaft über die inner-habsburgischen Grenzen hinweg nachvollziehbar gemacht werden. Dadurch ergibt sich ein Perspektivenwechsel von „Top-down“- hin zu „Bottom-up“-Prozessen, die im Gesamtkontext staatsbildender Prozesse analysiert werden sollten. Ein aus der Perspektive der regionalen Bürokratie verstandenes Konzept von Staatsbildung hinterfragt das lange vorherrschende „Top-down“ Staatsbildungsnarrativ der österreichischen Geschichtswissenschaften. Durch den Blick „von unten“ wird Staatsbildung und Zentralisierung nicht als gegebene Entwicklung betrachtet; vielmehr sollten auch innere Widersprüche und Divergenzen, die sich in ihrer prozessualen Vielschichtigkeit nicht geradlinig in das große Staatsbildungsnarrativ einfügen, angesprochen und erforscht werden. Die Habsburgermonarchie als „Composite Monarchy“, deren Königreiche und Länder einerseits einen dezidiert ausgeprägten „Länder-Eigen-Sinn“ (Margret Friedrich) hatten, andererseits in komplexe Verflechtungen im Gesamtstaat eingebunden waren, eignet sich als idealer Untersuchungsraum für eine so verstandene de-zentrale Geschichtsschreibung.

Programm

15. Februar
8:45-9:00
Begrüßung/en und Organisatorisches
9:00-9:30
Einführung
Julian LAHNER (Naturns): Herrschaft, Verwaltung und Zentralisierung: Verwaltung(-sgeschichte) der Habsburgermonarchie im 18. Jahrhundert

9:30-11:00
Sprachen der Verwaltung: Formen, Aushandlung und Deutung (Chair: Ellinor Forster)
Gernot WALDNER (Wien): Dichter und Bürokrat. Literarische Elemente in der bürokratischen Sprachreform von Joseph von Sonnenfels
Benedikt STIMMER (Wien): „Und daher kömt uns das schöne Gemeng, so kein Deutscher versteht“ – Sprachreformdiskurs und Staatsausbau in der Habsburgermonarchie nach 1740
Bennet ROßWAG (Gießen): Das Intelligenzblatt als Medium des Verwaltens

11:00-11:45
Kaffeepause

11:45-13.15
Kirche & Militär: Behörden, Prozesse und Akteur:innen (Chair: Thomas Wallnig)
Bettina BRAUN (Mainz): Herrschaft, Verwaltung und Zentralisierung in der Reichskirche: Parallelen und Unterschiede
Marcus STIEBING (Stuttgart): Im Geflecht der Akteur:innen und Institutionen. Kommunikation in der Theresianischen Militärakademie unter Franz Josef von Kinsky (1769-1805)
Judit Rita BURANY (Budapest): Die Veränderungen der militärischen Signale in der Habsburgermonarchie

13:15-14:30
Mittagsjause

14:30-15.30
Zentralverwaltung & Länder I. (Chair: Gunda Barth-Scalmani)
Attila MAGYAR (Hannover): Der langsame Tod einer Kameralverwaltung, Die Auflösung der Ofner Kameraladministration und ihre Eingliederung in die Ungarische Kammer (1709–1728)
Reinhard F. NIEßNER (Innsbruck): Die Verwaltung des Wassers. Tirols alpine Flüsse und Wildbäche als administrative Heraus- und Überforderung (1745–1792)

15:30-16:00
Kaffeepause

16:00-17:00
Zentralverwaltung & Länder II. (Chair: Gunda Barth-Scalmani)
Nelly EISENREICH (Wien): Ein Gegenentwurf zum Haugwitz`schen System und sein Autor: Versuch über die politische Kultur des Friedrich August von Harrach (1696–1749)
Oleksandra KRUSHYNSKA (Wien): Ein Vergleich der habsburgischen Gesetzgebung für Galizien nach der ersten und der dritten Teilung von Polen-Litauen: von der „Zivilisatorischen Mission“ zur „Verteidigung der Ordnung“

17:00-17:15
Pause

17:15-18:15
Tim NEU (Wien): Von Kontrollräumen und Kinosälen, oder: Die Verwaltungsgeschichte auf der Suche nach Zentralitätseffekten

19:30
Gem. Abendessen

16. Februar
9:00-10:30
Grundherrschaftliche Verwaltung & staatliche Zentralisierung (Chair: Julian Lahner)
Michal VOKURKA (Prag): Toskanische und bayerische Herrschaften in Böhmen
Jiří HRBEK (Prag): Das fürstenbergische Beamtentum im Prozess der Modernisierung: Das Beispiel der Herrschaften Křivoklát/Pürglitz in Mittelböhmen
Josef LÖFFLER (Wien): Staatliche Interventionen in grundherrschaftliche Verwaltungsräume. Die „vermischten Untertanen“ in Niederösterreich als bürokratisches Problem

10:30-11:15
Kaffeepause

11:15-12:45
Verwaltung auf lokaler Ebene: Gerichte, Gemeinden, Städte und Schulen (Chair: Niels Grüne)
Wolfgang Scheffknecht (Lustenau): Verwaltung auf der Ebene der Gerichte und Gemeinden. Die österreichischen Herrschaften vor dem Arlberg
Tomáš STERNECK (Prag/Budweis): Amtsakten, Anonyme und Bierzusammenkünfte. Die Magistratsregulierung in Böhmen als Plattform für eine „verdichtete Kommunikation“ (Stadtbevölkerung – Kreisamt – Appellationsgericht – Landesgubernium)
Stefan EHRENPREIS (Innsbruck): Zentralisierung gegen Lokalität? Das Schulwesen Tirols 1650-1770 im Brennpunkt lokaler Eliten und zentralisierenden Bildungsreformen

12:45-13:30
Abschlusskommentar

13:30-14:00
Tiroler Jause zum Abschluss

14:00
Abreise

Kontakt

Julian Lahner

Redaktion
Veröffentlicht am
Beiträger
Klassifikation
Weitere Informationen
Land Veranstaltung
Sprach(en) der Veranstaltung
Deutsch
Sprache der Ankündigung